
Essstörungen verstehen
Nicht nur Social Media - Ursachen
Wieso bekommt man eine Essstörung?
Viele Faktoren können eine Essstörung begünstigen. Es können zum Beispiel genetische Vorbelastungen, aber auch bestimmte Veränderungen im Gehirn sein, die dazu führen, dass man anfälliger dafür ist. Auch Umfeld und Erfahrungen, wie zum Beispiel belastende Lebensereignisse oder Kindheitserfahrungen, Mobbing-Erfahrung oder auch die Bilder auf Social-Media-Kanälen spielen eine Rolle. Insbesondere auch, wie man mit solchen Belastungen umgeht, ob man besonders perfektionistisch und leistungsorientiert ist oder vielleicht Probleme mit dem Selbstbewusstsein hat. Sehr viele Faktoren sind bereits bekannt, andere werden noch genauer erforscht, aber wichtig ist zu verstehen: Kein Mensch „entscheidet“ sich dazu, eine Essstörung zu bekommen. Es ist vielmehr ein Prozess, der vielleicht mit einer Diät oder einem bestimmten Ereignis beginnt und sich dann verselbstständigt, weil die/der Betroffene eine erhöhte Verletzlichkeit für diese Erkrankung hat.
Betroffene beschäftigen sich immer mehr mit dem Thema Essen, versuchen immer mehr Kontrolle darüber auszuüben, was sie essen oder nicht. Gleichzeitig verlieren sie aber die Kontrolle an die Erkrankung, weil sie es nicht mehr schaffen, ihr Essverhalten wieder zu normalisieren. Vorwürfe oder Bitten wie „du musst mehr essen“ verschärfen die Situation, weil Betroffene zu diesem Zeitpunkt nicht in der Lage sind „einfach mehr zu essen“, denn genau das ist Teil ihrer Erkrankung. Hier spielen auch Prozesse im Gehirn eine Rolle, die man eben nicht beeinflussen kann. Hinter der Beschäftigung mit dem Essen liegen tiefere Probleme, die nicht sofort erkannt werden und erst durch Austausch mit anderen oder Therapien ans Tageslicht kommen. Daher ist es extrem wichtig zu wissen, dass auch Essstörungen nichts sind, wofür man sich schämen muss! Sie sind vielmehr eine Art Notruf der Seele, den die/der Betroffene aus irgendeinem Grund nicht selbst absetzen konnte.
Viel zu wenig oder viel zu viel - Varianten & Symptome
Anorexia Nervosa F 50.0 „Magersucht“
Bei dieser Essstörung versuchen Betroffene möglichst wenig zu essen, um Gewicht zu verlieren. Oft können auch exzessiver Sport, die Einnahme von Abführmitteln oder andere Maßnahmen hinzukommen, um die Gewichtsabnahme zu beschleunigen. Begleitet wird diese Störung oft von einem falschen Bild des eigenen Körpers (Körperbildstörung), auch wenn die Betroffenen bereits untergewichtig sind, haben sie weiterhin das Gefühl zu dick zu sein. Sie definieren ihren Selbstwert über ihr Gewicht und ihren Körper und haben große Angst davor zuzunehmen. Da die Magersucht vor allem während der Pubertät entsteht, kann es auch zu Entwicklungsstörungen kommen. Ein frühes Erkennen und Hilfsangebote sind also umso wichtiger. Es kann jedoch sein, dass Betroffene es zunächst quasi bestärkt, wenn ihre Gewichtsabnahme wahrgenommen und angesprochen wird, da es ja ihr Ziel ist, abzunehmen und das Belohnungssystem im Gehirn dabei auch eine Rolle spielt. Oft ist es ihnen nicht möglich, die Krankheit selbst anzuerkennen. Viele Betroffene entwickeln andererseits mit viel Aufwand Strategien, das eigene Essverhalten oder den Gewichtsverlust zu verstecken. Das wiederum führt dazu, dass sie sich keine Hilfe holen, bzw. erst, wenn die Krankheitslast und das damit steigende gesundheitliche Risiko sehr hoch ist.
Wenn Hilfe nicht frühzeitig einsetzt, besteht die Gefahr, dass die Essstörung chronisch wird, das heißt über einen langen Zeitraum andauert. Natürlich ist dies insbesondere dann sehr gefährlich, wenn Betroffene sich selbst quasi die Nahrung verweigern. Begleitet wird die Magersucht oft auch von anderen psychischen Erkrankungen wie Angststörungen, Zwangserkrankungen oder Depressionen. Die Kontrolle über das Essen wird zu einem wichtigen Teil des Lebens – sogar zum Lebensinhalt. Körperlich hinterlässt sie ebenfalls Spuren, da der Körper zum Beispiel nicht ausreichend mit Vitaminen und Mineralstoffen versorgt wird. Es können Probleme wie Müdigkeit, Kopfschmerzen, ausbleibende Menstruation oder auch Zahn- oder Knochenprobleme auftreten, bis hin zu lebensgefährlichen Unterversorgungen. Leider ist Anorexie außerdem die psychische Erkrankung mit der höchsten Todesrate bei jungen Menschen. Ein frühes Erkennen der Krankheit und Hilfsangebote, vor allem auch in der Pubertät, zeigen aber gute Erfolge und können dafür sorgen, dass die Erkrankung nicht chronisch wird. Ein starker Gewichtsverlust kann aber auch mit anderen Erkrankungen in Verbindung stehen, zum Beispiel verschiedene Darmerkrankungen. Daher sollte auch hier immer der erste Weg zum Hausarzt führen, um andere Erkrankungen auszuschließen und Hilfsangebote einzuleiten. Ein erster Schritt kann aber auch schon sein, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen und dadurch gestärkt dann weitere Hilfsangebote oder Arztbesuche in Angriff zu nehmen.
Bulimia Nervosa (F 50.2)
Bei der Bulimie (auch Ess-Brech-Sucht) leiden die Betroffenen unter immer wiederkehrenden Essanfällen, bei denen sie große Mengen in kurzer Zeit essen. Oft sind das Lebensmittel, die sie sich sonst „verbieten“ oder nicht essen würden und die dann zum Teil unkontrolliert über das Sättigungsgefühl hinaus verschlungen werden. Anschließend setzen Gefühle wie Scham oder Ekel ein und sie möchten das Essen schnellstmöglich wieder loswerden. Die Bezeichnung „Ess-Brech-Sucht“ ist etwas irreführend, da teilweise auch andere Maßnahmen ergriffen werden, um das übermäßige Essen zu kompensieren, zum Beispiel die Einnahme von Abführmitteln, viel Bewegung oder Fasten. Auch hier besteht eine große Angst vor der Gewichtszunahme, doch meist sind Menschen, die unter Bulimie leiden, eher normalgewichtig. Das Erbrechen oder auch die Einnahme von Abführmitteln können aber dennoch zu weiteren Folgeproblemen führen, zum Beispiel Entzündungen der Speiseröhre, Zahnproblemen, schwerwiegende Darm- oder Nierenproblemen. Auch die Bulimie wird oft von weiteren psychischen Problemen wie Ängsten oder Depressionen begleitet und führt zu einer hohen Krankheitslast im Alltag. Die ständige Beschäftigung mit dem Thema Essen oder das Versteckspiel, wenn man sich nach dem Essen übergibt, all das sind große Belastungen.
Binge-Eating Störung (F 50.9)
Auch bei der Binge-Eating Störung kommt es zu unkontrollierten Essanfällen, bei denen große Mengen gegessen werden, weit über das Hungergefühl hinaus. Das Wort „binge“ kann man als Rausch oder Gelage übersetzen, also ein extremes Übermaß. Während Anorexie und Bulimie meistens bei Mädchen und Frauen auftritt, sind von der Binge-Eating Störung auch viele Jungen betroffen, teilweise tritt sie schon im Kindesalter auf. Im Gegensatz zur Bulimie neigen Betroffene aber hierbei nicht dazu, das zu übermäßige Essen wieder loswerden zu wollen, auch wenn sie nach den Essattacken dieselben Gefühle von Scham und Ekel verspüren. Das führt natürlich zur Gewichtszunahme, viele Betroffene leiden daher unter Übergewicht und Adipositas und den typischen Folgeerkrankungen, die Gelenke oder das Herz-Kreislaufsystem betreffen können, aber auch Diabetes. Auch psychisch sind die Betroffenen sehr belastet, was sich auch bei dieser Störung in Ängsten und Depressionen ausdrückt und oft auch durch den Rückzug aus dem sozialen Leben begleitet wird.
Was heißt F50.0? Das ist der ICD-10 Code für diese Erkrankung. Diese Codes findest du z.B. auf dem Krankenschein, sie werden international verwendet.